Von Detlef Flintz
2.4.2025. David gegen Goliath: Tübingen hat vor dem höchsten deutschen Gericht gegen ein Franchise-Unternehmen von Mc Donald’s gesiegt. Jetzt wollen viele Kommunen nachziehen. Aber was bringt eine Verpackungssteuer? Kurzfassung: weniger Müll im öffentlichen Raum, eine Gastronomie, die plötzlich Mehrweg kann, und einen Beitrag zum Klimaschutz. Hier die Argumente im Einzelnen:
Die Neckarbrücke in Tübingen vor Einführung der Verpackungssteuer und danach.
Der Genuss eines Burgers für unterwegs ist nur kurz - die Kette der damit verbundenen Probleme umso länger: Das geht schon mit der Herstellung zum Beispiel solcher Pappkartons los: Mehr als vier Milliarden Liter Wasser braucht es für zwei Milliarden Stück jährlich. Vom Energieaufwand ganz zu schweigen.
Ist der Burger dann verzehrt - bleibt der Karton, so wie Alu-Schalen für ganze Gerichte oder Kaffeebecher. Die Kosten ihrer Entsorgung trägt die Allgemeinheit: über 700 Millionen Euro jährlich - umgerechnet mehr als acht Euro pro Einwohner-
Umweltschäden, Müllbeseitigung - alles versteckte Kosten, die man einer Verpackung nicht direkt ansieht. Und die beim Kauf sehr oft auch keine Rolle spielen. Die Folge: „To Go“ nimmt immer mehr zu.
Die Verpackungssteuer dreht jetzt den Spieß um: Wer Einwegverpackungen will, muss extra für sie zahlen. Mit dem Ziel, dass diese zurückgedrängt und durch Mehrwegangebote ersetzt werden.
Jede Verpackung, jedes Einweggeschirr kostet in Tübingen fünfzig Cent extra. Für Besteck sind es zwanzig Cent. Und die Umsatzsteuer kommt oben drauf. Ein Burger kostet deshalb 54 Cent mehr, ein Coffee to go sogar sechzig Cent.
Jedenfalls dann, wenn der Gastronomiebetrieb die Steuer an seine Kundschaft weitergibt und nicht selber trägt. Mc Donald’s in Tübingen - das wegen der Steuer bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen war - hatte anfangs die Mehrkosten aufgefangen, schlägt diese nun aber auf den Preis drauf. Die meisten Gastronomiebetriebe verfahren so.
Doch egal, wer die Zeche zahlt: Für die Stadt Tübingen ergeben sich daraus Mehreinnahmen von rund 800.000 Euro jährlich. Rund 700.000 Euro gibt die Stadt allerdings allein für die Beseitigung von Müll im öffentlichen Raum aus.
Der Rest ist ein kleines Extra, das die Stadt gut gebrauchen kann, etwa um ihre Projektre zum Klimaschutz voranzutreiben.
Zeitlicher Vorlauf: In Tübingen waren gut zwei Jahre geplant. Wegen Corona wurde die Steuer dann um ein Jahr verschoben auf Jahresbeginn 2022.
Verwaltungsaufwand: In 2021 und 2022 benötigte die Stadt für 200 verpackungssteuerpflichtige Betriebe 1,75 Planstellen. 2024 waren es 1,25 Stellen; die sollen zeitnah auf eine halbe Stelle zurückgehen.
Zu besteuernde Produkte: Die Tübinger Verpackungssatzung beschreibt diese als „alle Verpackungen, die dazu bestimmt sind, nur einmal oder nur kurzzeitig für den unmittelbaren Verzehr von Speisen und Getränken verwendet zu werden.“ Im Folgetext führt die Satzung dies beispielhaft aus. Eine präzise Beschreibung, die steuerpflichtige von steuerfreien Produkten abgrenzt, ist von großer Bedeutung.
Sonderfall „Drive in“: Wo erfolgt der Verzehr, wenn die Pommes mit dem Auto abgeholt werden? Noch auf Stadtgebiet? Die Mc Donalds-Filiale in Tübingen liegt am Rand. Die Stadt hat entschieden, den Verkauf am „Drive in“ vorerst nicht zu besteuern, da nicht klar ist, ob der Müll in der Regel auf Stadtgebiet anfällt. Anders geht man in Konstanz vor: Die Stadt hat seit 1.1.2025 eine Verpackungssteuer und die gilt auch für den „Drive in“ - der hier im Stadtzentrum liegt.
Überquellende Mülleimer und Einwegverpackungen in der Landschaft gibt es nach Einführung der Steuer nicht mehr, heißt es aus der Stadtverwaltung. Das gibt den Stadtbetrieben jetzt die Möglichkeit, über eine Verlängerung des Rhythmus für die Reinigung nachzudenken.
Genaueres lässt sich allerdings zur eingesparten Müllmenge nicht sagen. Denn Müll wird üblicherweise gewogen und da Verpackungen für To Go sehr leicht sind, fällt selbst ein signifikanter Rückgang nicht sonderlich ins Gewicht. Die Müllmenge pro Jahr liegt nach wie vor bei 440 Tonnen pro Jahr.
Dafür gibt es jetzt viermal so viel Betriebe, die Mehrweg anbieten, auch wenn sie nicht gesetzlich dazu verpflichtet sind. Laut einer Studie der örtlichen Uni liegt die Stadt damit auf Platz eins in Deutschland; nirgendwo anders gibt es so viele Mehrwegrestaurants umgerechnet auf 100.000 Einwohner.
Die Stadt führt dies auch auf ihr Förderprogramm für die Gastronomie zurück. Jeder Betrieb kann bis zu 1500 Euro erhalten, für die Anschaffung von Mehrweggeschirr beziehungsweise den Kauf einer Spülmaschine.
Mit dem Gang durch alle Rechtsinstanzen hat Tübingen juristisch den Boden bestens vorbereitet. Und ökonomisch wie ökologisch überwiegt der Nutzen einer Verpackungssteuer den Aufwand:
Laut Deutscher Umwelthilfe gibt es inzwischen in mehr als 120 Kommunen Überlegungen, eine Verpackungssteuer zu erheben. Wahrscheinlich ist dies nur die zweitbeste Lösung für ein überregionales Problem, das sich mit einer bundesweiten Steuer auf Produkte für To Go einfacher lösen ließe. Umwelt- und Verbraucherorganisationen fordern die auch seit mehr als zehn Jahren - vermutlich weiterhin vergeblich.
Ich bin Detlef Flintz, Wirtschaftsjournalist, Dozent und Politikcoach. Ich finde, in der politischen Kommunikation setzen sich die falschen Leute mit den falschen Botschaften durch. Mehr
Einen guten Überblick liefern:
https://www.kommunal.de/Tuebingen-Verpackungssteuer-rechtens-Erfahrungen
https://www.dw.com/de/wie-helfen-steuern-gegen-einweg-verpackungen/a-71686230
Zur Historie der Tübinger Verpackungssteuer:
https://kommunalwiki.boell.de/index.php/Verpackungssteuer
Zur Umweltbelastung durch Verpackungen für To Go:
https://mehrweg-mach-mit.de/gastronomie/einweg/
https://www.duh.de/informieren/ressourcen-und-abfall/to-go-verpackungen/essensboxen/das-problem/
https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC136771
https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/abfall-und-recycling/25294.html
Zur Definition der steuerpflichtigen Produkte:
https://www.tuebingen.de/verpackungssteuer#/34231
Zum Spezialfall „Mc Drive“:
Zur Verpackungssteuer in Konstanz:
https://www.konstanz.de/leben+in+konstanz/umwelt/verpackungssteuer
Zur Studie der Uni Tübingen:
Zur Einführung der Verpackungssteuer in anderen Städten:
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