Stacheldraht, um Menschen am Grenzübertritt zu hindern

Gute Kommunikation signalisiert Menschen, dass man ihre Sorgen und Bedürfnisse versteht und ernst nimmt. In der schlechten Variante aber kreisen Politikerinnen und Politiker nur in ihrer eigenen Welt. Ein Praxisbeispiel:


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Dobrindts Asyl-Pleite und das Medien-Versagen seiner Gegner

Von Detlef Flintz

 

6.6.2025. Auf Grundlage einer Zurückweisung von drei Asylsuchenden aus Somalia verpasst das Berliner Verwaltungsgericht Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am 2. Juni in einem Eilverfahren eine juristische Ohrfeige: Dessen Anordnung, Asylsuchende bei Grenzkontrollen abzuweisen, sei grundsätzlich rechtswidrig. 

Ein „Fressen“ für die Presse - und DIE Gelegenheit schlechthin für alle, die eine humanere Asylpolitik wollen. Denn sie könnten die mediale Aufmerksamkeit für ihre Sache nutzen. Doch ist das passiert? Ich sage, nein - Chance vertan. Hier meine Argumente: 

Vor Gericht verloren - aber auch  bei den Wählern?

Über mangelnde Medienpräsenz direkt nach dem Urteil können sich Grüne, SPD und Linke nicht beklagen. Und was geben sie zum Besten? Neben ein bisschen Häme gegenüber Dobrindt vor allem die Forderung, er möge sich endlich wieder an Recht und Gesetz halten.

 

Man bleibt auf der juristischen Ebene. Das ist auf den ersten Blick naheliegend, trifft aber nicht den Nerv von Wählerinnen und Wählern. Die nämlich sind überwiegend der Auffassung, dass das Asylrecht geändert werden muss. Das weiß man aus einer Reihe von Umfragen, etwa dem ARD-Deutschlandtrend von September 2024, in dem 77 Prozent der befragten wahlberechtigten Deutschen für eine grundsätzlich andere Asyl- und Flüchtlingspolitik votierten. Selbst die Hälfte der Grünen-Anhänger sah das so. 

 

Dobrindt hat also vor Gericht verloren, nicht zwingend aber bei den Wählerinnen und Wählern. Umgekehrt muss sich das linke Lager die Frage gefallen lassen, warum ihm als Medien-Reaktion nichts Besseres einfällt, als die Einhaltung des aktuellen Rechts einzufordern - wo doch die Bevölkerung mehrheitlich davon die Nase voll hat. Und tatsächlich hätte es bessere Möglichkeiten gegeben, für eine humanere Asylpolitik zu werben. Der konkrete Fall zum Beispiel liefert jede Menge Futter.

 

Da hilft ein Blick aus der Perspektive der Bevölkerung: Was denken Normalsterbliche über so einen Vorfall an der Grenze und welche Fragen stellen sich ihnen? Die drei Fragen im Folgenden dürften dazu gehören:

Mann mit Brille und silbernem Haar, lächelnd in Anzug mit gekreuzten Armen.

Ich bin Detlef Flintz, langjähriger ARD-Journalist und nun Politikcoach. Mein Credo: Wer bei den Wählern punkten will, muss ihre Gedanken und Bedürfnisse verstehen. Mehr

Frage 1: Wie schlimm war die Situation für die Asylsuchenden?

Vertreter von Pro Asyl waren Anfang Mai, direkt nach Wirksamwerden von Dobrindts Anordnung, an die deutsch-polnische Grenze bei Frankfurt/Oder gereist. Dort trafen sie auch auf die drei Somalier, deren Zurückweisung durch die Grenzbeamten später das Berliner Verwaltungsgericht beschäftigen sollte.

 

Unter ihnen eine junge Frau (ihren eigenen Angaben nach erst 16 Jahre alt), die sich auf dem Fluchtweg schwere Verletzungen zugezogen hatte. Pro Asyl zufolge konnte sie sich kaum noch fortbewegen; die Organisation kümmerte sich um Unterkunft und medizinische Versorgung.

 

Asylrecht ist nicht nur abstrakt, sondern hat Konsequenzen im wahren Leben. Aber welche Bedeutung haben diese für die Kommunikation der  Parteien? Ich habe mir beispielhaft drei Medien in den Tagen nach dem Dobrindt Urteil speziell daraufhin angeschaut: die Online-Berichterstattung auf tagesschau.de am Urteilstag selbst und am Tag darauf (2. und 3. Juni) sowie einen Tag versetzt die Printausgabe von Süddeutscher Zeitung und Rheinischer Post.

 

Ergebnis: Wie zu erwarten jede Menge kritische Stellungnahmen, insbesondere von Grünen-Seite (u.a. Britta Haßelmann, Irene Mihalic, Marcel Emmerich). Nicht wirklich überraschend deutlich zaghafter die von Regierungspartner SPD (Ralf Stegner, Matthias Miersch, Lars Castellucci)). Und eine Reaktion noch aus der Reihe der Linken (Jan van Aken). Aber nicht eine oder einer hatte das persönliche Schicksal der drei Flüchtlinge aus Somalia erwähnt.

 

Dabei sollte es am Ende doch immer um die Menschen gehen, die von Politik und Gesetzen betroffen sind. In diesem Fall betroffen von einer Politik der Abschreckung, die deutsche Grenzbeamte offenkundig auch  dazu bringt, eine Verletzte einfach  ihrem Schicksal zu überlassen.

Frage 2: Wovor sind die Drei eigentlich auf der Flucht?

Denen, die sich in Asylfragen auskennen, fallen zu Somalia vermutlich sofort eine Reihe von Fluchtgründen ein. Sie sollten nur nicht davon ausgehen, dass es der breiten Bevölkerung ähnlich geht.

 

Auch ich musste da nachlesen. Deshalb schreibe ich an dieser Stelle, was ich gerne von Irene Mihalic oder Ralf Stegner (um nur zwei Namen zu nennen) zu Somalia gehört bzw. gelesen hätte:

  • Vier Millionen Menschen haben in dem 18 Millionen zählenden Land ihre Heimat verloren. Fast jeder und jede Vierte ist also Binnenflüchtling im eigenen Land. 65 Prozent davon sind Kinder.
  • Ursache unter anderem: brutale Kämpfe zwischen verschiedenen Clans und Warlords
  • Bewaffnete islamistische Gruppen gefährden mit Terroranschlägen die Sicherheit der Zivilbevölkerung.
  • Zwangsrekrutierungen, auch von Frauen und Jugendlichen, durch die islamistische Rebellen-Organisation al-Shabaab
  • Geschlechtsspezifisch begründete Gewalt bis hin zur Genitalverstümmelung
  • Mehr als vier Millionen haben nicht genug zu essen.

Ist das Elend in Somalia in diesem konkreten Fall nicht das beste Argument, sich gegen Dobrindts Politik zu wenden - eine Politik, die Menschen, die Asyl suchen, ohne Ansehen von Person und Schicksal pauschal zurückweist?

 

Doch auch dazu haben Jan van Aken, Britta Haßelmann, Irene Mihalic, oder Ralf Stegner keine Worte gefunden. So wurde die Chance verpasst, für eine humane Asylpolitik zu werben, damit die eigene Position zu stärken - und wieder Boden gut zu machen bei den Wählerinnen und Wählern.

Frage 3: Warum Asyl ausgerechnet in Deutschland?

Nein, geneigte Expertinnen und Experten - hier geht es nicht darum, was eine Dublin-Verordnung oder vergleichbare Regelungen verlangen. Hier geht es um die banale Frage nach dem Sinn: Gefragt ist inhaltliche Plausibilität, gegebenenfalls auf Grundlage bestimmter Werte und Normen.

 

Sich hinter Paragraphen zu verstecken, gilt also nicht. Sondern Politikerinnen und Politiker müssen sich erklären, ob und warum sie es für richtig halten, dass ausgerechnet Deutschland Menschen wie den drei Heimatlosen aus Somalia Asyl gewährt. Oder ob es nicht doch eher Polen sein müsste, wo die Drei ja herkamen.

 

Vermutlich gibt es für beide Sichtweisen gute Gründe. Auch ich hätte sie als Normalsterblicher in der aktuellen Debatte gerne gehört, inklusive abschließender Positionierung der Dobrindt-Kritiker:innen: Asyl in Deutschland oder Asyl in Polen?

 

Keine der beiden Antworten ist freilich geeignet, sich in der Bevölkerung nur Freunde zu machen. Und deshalb ist es ein beliebtes Muster, in unbequemen Situationen im Ungefähren zu bleiben oder auf rechtliche Zwänge zu verweisen.

 

Dafür aber, geschätztes Politik-Personal,  wurdet Ihr nicht gewählt. Und Recht lässt sich ja ändern - siehe oben. Sagt also bitte, so alltagsnah und konkret wie eben möglich, was Ihr gut und richtig findet. Und was Ihr, wenn nötig, wie schnell dafür tun wollt.

 

Dieses Mehr an Glaubwürdigkeit werden Euch die Normalsterblichen in Deutschland danken.

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